Du sprichst ein Thema an, das in vielen Bereichen inzwischen ernste Fragen aufwirft – gerade dann, wenn Nächstenliebe zum Geschäft wird. Es gibt mittlerweile nicht wenige Organisationen, die sich bewusst auf das Ideal der Selbstlosigkeit stützen, um Strukturen aufrechtzuerhalten, die eigentlich professionell ausgestattet gehören.
Natürlich sind freiwillige Helfer*innen das Rückgrat vieler sozialer Initiativen – und das ist auch gut so. Aber wenn dauerhaft Stellen eingespart und durch Ehrenamt ersetzt werden, verschiebt sich das Gleichgewicht. Dann wird Hilfe nicht mehr freiwillig, sondern funktionalisiert. Das kann schnell in eine Richtung kippen, in der Wertschätzung durch Überforderung ersetzt wird.
Manche Einrichtungen lassen Ehrenamtliche Aufgaben übernehmen, die weit über ein vertretbares Maß hinausgehen – inklusive Verantwortung, Dienstplänen und Erwartungshaltung. Gleichzeitig wird die moralische Keule geschwungen, wenn man sich zurückziehen will: „Du lässt doch die Menschen nicht im Stich!“ Das ist ein subtiler Druck, der oft übersehen wird.
Dabei sollte man auch über das Machtverhältnis sprechen: Wenn Organisationen Spendengelder, Fördermittel und Öffentlichkeitsarbeit geschickt kombinieren, aber ihre Helfer kaum betreuen oder wertschätzen, läuft etwas falsch. Das Ziel mag ein gutes sein – aber der Weg dorthin sollte transparent und fair bleiben.
Es wäre wünschenswert, wenn es klare Rahmen gäbe: Was darf man erwarten, wo endet Freiwilligkeit? Eine Stunde Hilfe ist kein Ersatz für einen Arbeitsvertrag. Wer langfristig Verantwortung übernimmt, sollte auch Unterstützung erfahren – sei es durch Fortbildungen, Aufwandsentschädigung oder zumindest offene Anerkennung.
Ich denke, man darf und sollte kritisch bleiben, auch wenn es um "gute" Zwecke geht. Denn wahre Gemeinnützigkeit lebt nicht von Überforderung, sondern von gegenseitigem Respekt. Und dieser muss aktiv gestaltet werden.
Wenn du das Gefühl hast, ausgenutzt zu werden, ist es legitim, Grenzen zu setzen. Engagement sollte inspirieren, nicht auslaugen. Auch Helfende haben ein Recht auf Selbstschutz und Anerkennung. Und: Wer über Probleme spricht, verbessert langfristig das ganze System.
Insofern: Ja, ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht – und gelernt, dass es okay ist, Nein zu sagen. Nächstenliebe ist kein Geschäftsmodell. Und wenn sie dazu gemacht wird, müssen wir darüber reden.